(Musikexpress & Sounds 1981)
Interviewer : Bernd Gockel
Mit unerbittlicher Pünktlichkeit gibt es jedes Jahr zur Weihnachtszeit eine Queen-Tournee: 1977, 78, 79, 80! An der Show hat sich nicht viel geändert, nicht mal Freddies schnittiger Schnurbart konnte dazu beitragen. Aber Queen-Fans erwarten das auch nicht; ihnen genügt es, wenn gute, neue Songs dazukommen. Und die haben Queen reichlich. Auch sonst empfinden die Fans (wie die Musiker selbst) das Macho-Gehabe Freddies nicht als militant -- es ist Show. Und über die Allüen des Königs der Königin, der seit Jahren keine Interviews mehr gibt, erfahren die Zuschauer, Hörer, Leser auch nichts. Außerdem ist es Bernd Gockel gelungen, Bassist John Deacon vors Mikro zu bekommen und der erzählte wahrlich Interessantes...
Es gäbe nicht viel zu berichten, wäre -- ja wäre da nicht John Deacon gewesen, der sich in Berlin zu einem Interview breitschlagen ließ und dabei eigentlich zum ersten Mal durchblicken ließ, daß in der königlichen Krone doch einige Zacken gelegentlich gefährlich wackeln...
Das letzte Album als auch die beiden letzten Singles sind vor allem in den USA die erfolgreichsten Platten, die ihr je gemacht habt. Musikalisch klingt das ja nun alles viel simpler und gradliniger als die hochgestochenen Arrangements, die ihr noch vor drei, vier Jahren gemacht habt. Warum? Wieso? Weswegen?
JOHN : Ja, die Songs sind im Schnitt weit weniger kompliziert als noch vor ein paar Jahren. Das hat vielleicht mit den Umständen der Aufnahme zu tun. Wir sind jetzt 10 Jahre zusammen und hatten uns entschlossen, das Album in verschiedenen Phasen aufzunehmen -- jeweils ein paar Wochen für zwei, drei Tracks. "Crazy Little Thing" war die erste Nummer, und obwohl wir danach ganz andersaratige Songs machten, scheint die erste Aufnahme so etwas wie eine Signalwirkung gehabt zu haben. Jedenfalls ist die gesamte Platte simpler und gradliniger, daran besteht kein Zweifel. Warum das letztlich so ist? Ich habe keine Ahnung.
Hat es denn irgendwann im Laufe der letzten Jahre einmal einen Punkt gegeben, an dem ihr euch gesagt habt: So geht es nicht weiter, wir müssen von den überkandidelten Arrangements zurück zu einfacheren Songs -- weg mit "Mustapha", weg mit "Bohemian Rhapsody"?
JOHN : So überspitzt kann man das nicht sagen. Wenn du im Studio an neuen Nummern arbeitest, wunderst du dich manchmal selbst, welche Einflüße sich da bemerkbar machen. Zumal, wenn -- wie bei uns -- vier Leute individuell Songs schreiben. Das ist wirklich schwer zu beantworten, welche Einflüße da verabeitet werden -- oder ob wir da vielleicht unbewußt eine bestimmte Richtung verfolgen.
Gibt es denn so etwas wie Fraktionskämpfe oder zumindest Meinungsverschiedenheiten...
JOHN : Ohja.
...über die musikalische Richtung...
JOHN : Oh ja.
...innerhalb der Gruppe...
JOHN : Oh ja.
...ob man nun die komplizierten oder die simplen Songs nimmt...
JOHN : Oh ja, Oh ja.
Wer steht denn nun auf wessen Seite, wenn gegensätzliche Auffassungen oder Geschmäkker aufeinanderprallen?
JOHN : Schwer zu sagen. Jeder in der Gruppe hat einen anderen Geschmack. Brian ist als Gitarrist zunächst einmal an Musik interessiert, die stark von der Gitarre her bestimmt ist. Roger ist mehr der Rock'n'Roller, während ich ein Faible für Schwarze Musik habe. Vor allem deswegen natürlich, weil in der Schwarzen Musik der Baß eine so entscheidende Rolle spielt. Und Freddie? Bei ihm kann man das gar nicht so genau sagen. Freddie hat einen seltsamen Geschmack, er nimmt von allem ein bißchen. Es gibt keine musikalische Stilrichtung, bei der man sagen könnte, daß Freddie voll und ganz dahintersteht.
Gibt es denn Gruppierungen innerhalb der Gruppe, die sich durch einen ähnlichen Geschmack verbunden fühlen?
JOHN : Um ehrlich zu sein, es gibt vier Fraktionen. Jeder hat einen individuell sehr ausgeprägten und verschiedenen Geschmack. Natürlich gibt es manchmal Gruppierungen, aber die Zusammensetzung wechselt ständig. In Gruppen, bei denen nur ein Mann das Sagen hat, besteht ja bekanntlich die Gefahr, daß die gesamte Band auf Gedeih und Verderb in eben diese eine Richtung gezogen wird. Aber das ist bei Queen glücklicherweise nicht der Fall.
Aber so war es doch zumindest in den ersten Jahren der Gruppe?
JOHN : Ja, am Anfang waren Brian und Freddie die wichtigsten Faktoren. Sie schreiben noch immer die meisten Songs, aber Roger und ich sind inzwischen viel intensiver an der Gruppe beteiligt. Roger hat mittlerweile sogar so viel Material zusammen, daß er ein Soloalbum machen mußte. Er konnte es innerhalb der Gruppe einfach nicht mehr unterbringen.
Aber er ist der einzige mit Solo-Ambitionen?
JOHN : Zumindest bisher. Ich schreibe nicht so viele Songs wie er, deshalb ist es für mich nicht so frustrierend, daß nur ein Teil dieses Materials verwendet werden kann. Freddie könnte ein Soloalbum machen, denn er kann wirklich produktiv sein, wenn er will.
Und warum will er nicht? Zu faul?
JOHN : Ja, manchmal, ich glaube schon. Wenn wir an einem Album arbeiten, dann macht er es, aber zwischendurch läßt er schon mal gern die Zügel etwas schleifen.
Wie sehen denn die Beziehungen der vier Beteiligten auf privater Ebene aus. Ist das so wie etwa bei Pink Floyd, die neun Monate im Jahr an vier verschiedenen Plätzen der Welt leben und nur, wenn es unbedingt wieder sein muß, im Studio zusammenkommen?
JOHN : Nein, nein, wir leben alle in der Nähe von London und sehen uns doch ziemlich regelmäßig. Ich weiß, daß sich für einige Bands daraus Probleme entwickeln, wenn sie geographisch zu weit auseinander wohnten. Man muß sich schon regelmäßig zusammensetzen und die anliegenden Probleme ausdiskutieren. Wir tun eigentlich nichts, wenn nicht mindestens drei Leute die gleiche Meinung haben. Es ist ein ziemlich demokratischer Prozeß.
Es wird also auch etwas gemacht, selbst wenn der vierte Mann starke Bedenken hat?
JOHN : Das hängt davon ab, wie stark die Bedenken sind. Wenn der vierte Mann alle Hebel in Bewegung setzt und wirkliche Argumente gegen den gemeinsamen Beschluß auffährt, dann wird da auch eine Ausnahme zu der Regel gemacht. Und solche Situationen passieren.
Verspürt ihr denn nach immerhin jetzt 10 Jahren nicht den Drang, im Anschluß an eine längere Tournee euch für ein paar Monate völlig aus dem Weg zu gehen?
JOHN : Oh ja, so etwas ist einfach notwendig. Nimm beispielsweise die Who, die saßen auch vor zwei, drei Jahren auf einem absterbenden Ast, weil Pete Townshend von Tourneen die Nase voll hatte. Aber dann -- auch durch Keith Moons Tod bedingt -- haben sie sich wieder aufgerappelt und haben ihr Schiff wieder zum Laufen gekriegt. Ich habe sie in LA gesehen, sie waren phantastisch, sie haben wieder voll die Kontrolle über das, was sie tun! Und Pink Floyd -- nun, das ist eine seltsame Gruppe. Wir versuchen ja noch, jedes Jahr eine LP und eine Tournee zu machen und überall hinzukommen, aber Floyd machen ein paar Gigs in LA, ein paar in New York, ein paar in London und jetzt ein paar in Dortmund -- und dann kommt wieder lange Zeit nichts. Oder nimm beispielsweise ihr neues Album, was...
...was eigentlich ja nichts anderes als Rogers Soloalbum ist.
JOHN : Genau, und das muß für die Gruppe schon eine Belastung sein. Die Öffentlichkeit weiß davon nichts, sie meint, Pink Floyd sei Pink Floyd. Die Spannungen und Verschiebungen, die es innerhalb einer Gruppe gibt, bekommen Außenstehende meist gar nicht mit. Ich kann mir vorstellen, daß es für die Atmosphäre in einer Gruppe nicht unbedingt vorteihaft ist, wenn Nicky Mason beispielsweise spürt, daß er nur der Drummer ist und sonst nichts zu bestellen hat.
Bei Queen sieht das zum Glück anders aus, obwohl wir kürzlich ein ähnliches Problem hatten, als wir die neue LP FLASH GORDON aufnahmen. Wir hatten alle gemeinsam mit der Arbeit angefangen, doch am Ende war es Brian, der die Platte zu Ende brache, der entschied, welche Songs drauf kamen usw. Das ist für Queen eine untypische Situation, woraus sich dann auch prompt Meinungsverschiedenheiten ergaben. Brian wollte nämlich den deutschen Ingenieur, mit dem er in München eng zusammen gearbeitet hatte, als Produzenten angeben, während wir es lieber als ein gemeinsames Album von Queen gesehen hätten. Brian hat sich dann letztlich durchgesetzt, wir haben klein beigegeben. Aber für die Öffentlichkeit wird es trotzdem ein normales Queen-Album sein. "FLASH GORDON -- Musik von Queen." Darüberhinaus werden kaum Differenzierungen gemacht. Ich glaube auch, daß Außenstehende gar nicht ahnen, wie persönlich und bezeichnend einige Songs sind, die innerhalb einer Gruppe entstehen. Für das Publikum ist es ein Song von Queen, auch wenn es eigentlich ein sehr persönlicher Song eines Mitgliedes ist.
Wie ist es denn zum Beispiel im Fall von "Another One Bites The Dust"? Inwieweit ist dieser Song persönlich und bezeichnend für dich?
JOHN : Der Song entstand, weil ich eigentlich schon immer etwas in der Richtung von schwarzer, Disco-orientierter Musik machen wollte. Ich habe es durchgesetzt, daß dieser Song, so wie er ist, auf das Album kam. Er ist nicht typisch für Queen, und ich weiß nicht, ob wir je etwas ähnliches machen werden. Denn darüber gab's sofort Meinungsverschiedenheiten. Unsere Firma in Amerika wollte die Nummer nämlich als Single auskoppeln, weil sie bei schwarzen Radiostationen sofort starkes Airplay bekam. Roger wollte es unbedingt verhindern, weil es für Queen zu Disco-lastig sei -- und Disco ist in gewissen Kreisen ja nach wie vor ein Schimpfwort. Er glaubte, es würde nicht in das Gesamtbild der Gruppe passen.
Passieren denn solche Situationen öfter?
JOHN : Sie passieren. Da kann Brian beispielsweise nichts mit einem Song von Freddie anfangen -- oder umgekehrt. Das knallt man sich zwar nicht gleich unverblümt an den Kopf, aber hintenrum spürt man schon, wie ein neuer Song beim Rest der Gruppen ankommt. "Another One Bites The Dust" ist da eigentlich nur das jüngste Beispiel. Roger war wirklich entschieden dagegen, weil Queen seiner Meinung nach nicht eine Band werden sollte, die nur von Hitsingles lebt, die darüberhinaus auch ziemlich poppig sind. Wir wollen die Härte bewahren, die wir als LiveGruppe haben -- darüber gibt es eigentlich auch keine Differenzen.
Vielleicht dann noch eine Frage zu eurer Show: Wenn ihr beispielsweise heute noch "Bohemian Rhapsody" bringt, bringen müßt -- ist das nicht für euch ein Ballast, der überholt und altmodisch ist?
JOHN : Das größte Problem mit den Auftritten ist, daß wir uns bemühen, altes Material unauffällig über Bord zu werfen. Natürlich ist "Bohemian Rhapsody" für uns ein alter Hut, das ist Queen 1975. Aber es fällt schwer, Material auszuklinken, das die Zuschauer fest erwarten.
Macht ihr da also Kompromisse?
JOHN : Ein bißchen, ja. Wir versuchen, Altes und Neues möglichst gleichmäßig auszubalancieren.
Welche Songs möchtet ihr denn lieber heute als morgen über Bord werfen?
JOHN : Hm. Wir versuchen das Problem insofern zu lösen, indem wir einige alte Hits in Form eines Medleys bringen. Manchmal meint Brian auch, er wolle auf der nächsten Tournee nicht mehr sein übliches Solo spielen. Er sagt das schon lange, aber irgendwie ist das nun mal ein Feature unserer Show. Wir laufen da gegen eine Gummiwand. Genauso verhält es sich mit "Bohemian Rhapsody", das ist auch ein harter Brocken für uns. Aber man muß schließlich berücksichtigen, daß wir ständig neue Fans hinzugewinnen, die zum ersten Mal eine Queen-Show sehen. Dann kann es schon passieren, daß man als lange existierende Gruppe einen ganzen Haufen alter Hits mit sich rumschleppen muß. Aber das ist nun mal ein Problem, von dem alle alten Bands ein Lied singen können.